Etwas Alibi-Grün im Bäckergang Kiel

Saatbombenautomaten oder echtes Stadtgrün?

Der BUND Kiel lud zu einer Podiumsdiskussion am 28. März ein zum Thema „Stadtgrün oder Versiegelung – Wachstumsperspektiven in Kiel. Es diskutierten: Antonia Grage (CDU),  Christina Musculus-Stahnke (FDP), Arne Langniss (Grüne), Björn Thoroe (Die Linke), Axel Schnorrenberg (SPD) , Pascal Schmidt (SSW) und Ulrike Hunold (BUND Kreisgruppe Kiel). Moderation: Claudia Bielfeldt (BUND Landesverband SH).

In der sehr geschickt moderierten Runde und anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurden die vielen Facetten des Themas aufgeblättert.

Der Status Quo: Kiel ist eine ziemlich grüne Stadt

Die Runde war sich überwiegend einig, dass Kiel eigentlich eine ziemlich grüne Stadt ist. Neben Wäldern, Kleingartenanlagen, größeren Parks und Friedhöfen, gibt es auch viele kleine Parks und Grünanlagen, die manchmal nicht einmal einen Namen haben. In den älteren Stadtteilen finden sich noch die klassischen Vorgärten und grünen Höfe. Frau Musculus-Stahnke (FDP) fasste den Befund zusammen: „Kiel ist gar nicht so ungrün. Eigentlich ist Kiel eine Stadt im Grünen.“

Aber wird es so bleiben? Der Druck, neue Baugebiete und Gewerbegebiete auszuweisen, ist groß. Der historische Grüngürtel, der vor 100 Jahren konzipiert wurde, ist in den letzten 50 Jahren arg durchlöchert worden. Aktuell wird eine neue Zufahrt zum Holstein Stadion gebaut. Die Ansiedlung von Möbel Höffner auf einer zentral gelegenen Kleingarten-Kolonie im Grüngürtel hat die Bürgerschaft von Kiel gespalten.

In Bezug auf Gewerbegebiete hat in Kiel tatsächlich ein Umdenken begonnen. Die Rathaus-Kooperation hat das designierte Gewerbegebiet „Boelcke-Straße Süd“, verkleinert, auch in der Erkenntnis, dass der Bedarf nicht da war. Arne Langniß (Grüne) sagte: „Wir wollen keine weiteren Gewerbeflächen zusätzlich ausweisen.“

Die Vorteile von Stadtgrün

Grünflächen in der Stadt haben einen hohen Wert für Menschen und Tiere.

Man könne den Kieler Grüngürtel auch als Standortfaktor begreifen, empfahl Ulrike Hunold (BUND). Nicht nur das Meer, auch die vielen Grünflächen tragen zur Lebensqualität bei. Gerade bei der Suche nach mehr Fachkräften sind weiche Standortfaktoren wie Natur und Kultur ein wichtiger Anreiz.

Für die Tiere in der Stadt sind Grünflächen in der Stadt essentiell. Ein Mann aus dem Publikum wies auf die Vogelzählung hin, die der BUND kürzlich in der Bielenbergkoppel durchgeführt hat. In diesem biologisch sehr wertvollen Biotop wurden 48 Vogelarten gezählt. „How dare you, dass Sie dieses Gebiet einer Autobahn opfern wollen“, rief der Mann in Anlehnung an Greta Thunberg an die Adresse von Frau Musculus-Stahnke (FDP), die den Bau der Südspange just durch dieses Gebiet befürwortet.

Was kann die Politik tun, um Grünflächen zu bewahren und zu schaffen?

Das Zauberwort heißt Entsiegelung. Höfe, überbreite Straßen, gepflasterte Plätze, das sind Flächen, die zumindest theoretisch entsiegelt werden könnten. Es fehlt allerdings eine verlässliche Kartierung, welche Flächen in Frage kämen. So ein Kataster würde eine Farbgebung über alle Flächen legen, wo sinnvollerweise entsiegelt werden könnte.

Zu wünschen wäre auch ein finanzieller Anreiz für Entsiegelungen privater Grundstücke, sodass mehr Regenwasser im Hof oder Garten versickern kann.

Auch eine größere Flächeneffizienz in Gewerbegebieten könnte die Ausweisung zukünftiger Gewerbegebiete verhindern. Müssen Gewerbegebäude immer einstöckig sein?

Ein Grünflächen-Quotient würde den Anteil der Grünflächen ins Verhältnis zur Bevölkerung setzen. So eine Kennzahl schafft an sich noch keine Grünflächen, schärft aber das Bewusstsein dafür, dass Bautätigkeit in Konkurrenz zu Grünflächen steht.

Christian Herold (BUND) fordert eine Netto-Null-Strategie, bei der jede Versiegelung durch eine Entsiegelung an anderer Stelle ausgeglichen würde.

Antonia Grage (CDU) träumt von sehr vielen sehr kleinen Flächen, auf denen Automaten für Saatgutbomben aufgestellt werden. „Es muss verhältnismäßig sein.“

Die Diskutierenden machten einige Vorschläge, wie die Wohnungsnot gemildert werden könnte, ohne weitere Flächen zu verbauen: Wohnungstauschbörsen für ältere Leute, die ihre großen Wohnungen gegen kleinere tauschen möchten, wären ein Anreiz. Weniger Hotels und Luxusquartiere bauen, schlug Björn Thoroe (Die Linke) vor. Auch studentische Wohngemeinschaften in großen Wohnungen, die für Familien geeignet wären, wurden als Problem genannt.

Stadtgrün wertschätzen!

Zur Wertschätzung von Grünflächen gehört auch, dass sie nutzbar gemacht werden. Axel Schnorrenberg (SPD) nannte den Gaardener Sport- und begegnungspark als ein gelungenes Beispiel.

Etliche Sprecher appellierten auch an die Bevölkerung, mehr Toleranz für die scheinbare Unordnung der Natur zu haben. Ulrike Hunold (BUND) sagte: „Auch Unkraut bietet Lebensraum. Es müssen nicht immer Stiefmütterchen sein.“

Die Veranstaltung war leider nur spärlich besucht. Dennoch kamen in der Diskussion viele zusätzliche Themen zur Sprache. Etwa der Wunsch nach einem zentralen Platz für Bauwagen-Projekte oder Tiny Homes. Auch die Angst, dass Parkplätze wegfallen könnten im Zuge einer energischen Entsiegelung.

Das Stadtgrün einfach mal erhalten, fordert Niclas Köser (Die Politiker*innen), der im Publikum saß. Wenn das nur so einfach wäre! Er beschrieb , dass auch an und für sich fortschrittliche Projekte wie Velo-Routen oder Straßenbahn zur Fällung von vielen Bäumen führt.

Das Beitragsfoto zeigt den ziemlich ungrünen Gebäudekomplex namens Bäckergang.

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