Von Kielroy. Eigentlich ist alles klar: Die Südspange braucht kein Mensch. Die Frage ist nur: Wie kommen wir aus der Nummer raus? Über diese Position herrschte Einigkeit bei der Diskussionsrunde, zu der die Kieler Grünen am Freitagabend, 24. September, ins Waldhaus am Vieburger Gehölz eingeladen hatten.
Die Teilnehmer waren (alphabetisch geordnet): Jan Philipp Albrecht („Draußen-Minister“ in Schleswig-Holstein), Luise Amtsberg (Bundestags-Direktkandidatin der Grünen für den Wahlkreis Altenholz, Kiel, Kronshagen), Anna Fiesinger (Students For Future) und Arne Stenger (Fraktionsvorstand der Grünen in der Kieler Ratsversammlung, Sprecher für Bau, Stadtentwicklung, Energie, Klima, Meer, Umwelt und Entsorgungspolitik). Moderatorin war Nelly Waldeck von der Grünen Jugend Kiel. Die zahlreichen, sorgfältig 3G-geprüften Zuhörer stammten durchweg aus dem Kreis der Südspangen-Gegner und viele hatten vorher am Klimastreik teilgenommen.
Das Fazit vorweg: Die Südspange ist eines von vielen Infrastrukturprojekten in Deutschland, deren Sinn durch Klimawandel und Verkehrswende in Frage gestellt ist. Veränderungen laufender Pläne sind jedoch nach Darstellung der Grünen auf allen Ebenen mit viel Aufwand, großen Anstrengungen und hohen Kosten verbunden und daher schwer durchzusetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass die beteiligten Akteure nur sehr begrenzte Handlungsspielräume haben. Nur wenn alle mit vollem Einsatz an einem Strang ziehen, kann es gelingen, die Südspange noch zu stoppen.
Worum geht es?
Wie viel auf dem Spiel steht, wurde schon auf dem Hinweg deutlich. Vielen Kielern dürfte wenig bekannt sein, was für ein zauberhaftes Gebiet da in Gaarden-Süd / Hassee im Schatten des Funkturms liegt, mit liebevoll gepflegten Reihenhäusern in Sträßchen mit Namen wie „Vogelhain“ oder „Alte Eichen“, mit großen Kleingartenanlagen, deren Wert für die Bevölkerung gerade wiederentdeckt wird, und mit dem majestätischen Vieburger Gehölz und dem Eidertal. Alles zusammen ein lebenswerter Raum und eine Frischluftschneise für das geplagte Kieler Stadtklima. Für den Erhalt dieses Gebietes kämpfen inzwischen viele Kieler weit über die direkt Betroffenen hinaus.
Ratsmitglied Arne Stenger beschrieb Sachlage und Historie und stand dabei gehörig unter Druck, weil die Rats-Grünen sich dem Vorwurf stellen müssen, den Widerstand gegen die Südspange nicht entschieden genug zu artikulieren.
Die ersten Planungen für die Südspange reichen mittlerweile Jahrzehnte zurück und stammen aus einer Zeit, als Klimawandel oder Mobilitätswende noch kein Thema waren. Heute sind sie das aber und die Bedürfnisse haben sich geändert. Der Klimawandel hat andere Notwendigkeiten aufgeworfen und durch Corona hat sich das Mobilitätsverhalten geändert.
Plausible Argumente belegen den Bedarf, die alten Pläne zu revidieren. Dass der Nutzen der Südspange aus heutiger Sicht widerlegt ist, darüber waren sich alle DiskussionsteilnehmerInnen einig.
WER kann WAS erreichen?
Zur Erinnerung: In der Ratsversammlung am 19. August 2021 wurde ein Antrag von Linken und SSW zurückgestellt, der darauf zielte, die Stadt solle ihre Unterstützung für das Projekt Südspange zurückziehen und sich beim Bund dagegen einsetzen. Bevor darüber entschieden werden kann, soll aber zunächst eine Machbarkeitsstudie der DEGES zum Thema abgewartet werden. Letztendlicher Entscheidungsträger ist der Bund, dem Votum der Stadt wird jedoch einiges Gewicht beigemessen.
Für die Grünen in der Kieler Ratsversammlung legte Arne Stenger dar, dass es Loyalitätszwänge in der Rats-Kooperation seien, die eine eindeutige Positionierung verhinderten. Bei sich und seiner Fraktion sah er keine große Verantwortung und nur geringe Handlungsmöglichkeiten. Zum Zeitpunkt des Beschlusses zur Südspange 2017 waren die Grünen nicht einmal Mitglied der Kooperation und jetzt würde ein Ausscheren aus der Kooperation womöglich deren Ende bedeuten. Daher erklärte Stenger, dass zunächst die Stellungnahme der SPD abgewartet und dann mit dieser verhandelt werden solle.
Mit Skepsis sah Luise Amtsberg als Vertreterin der Grünen im Bund der Machbarkeitsstudie entgegen, an der seit letztem Jahr gearbeitet wird. Grund seien die Kriterien, in denen Fragen von Klimaschutz und Verkehrswende von vornherein nicht berücksichtigt würden. Eine Abwendung von der Südspange sei daher von dieser Seite nicht zu erwarten. Hoffnung setzte sie dagegen auf eine Initiative für ein Moratorium des Bundesverkehrswegeplans, um diesen erneut auf den Prüfstand zu stellen. Parallel zur Kieler Südspangen-Initiative berichtete sie von zahlreichen ähnlichen Initiativen im ganzen Bundesgebiet. Gemeinsam könne es gelingen, den Bund zum Umdenken zu bewegen.
Allerdings sei dies ein zäher Prozess. Nicht nur in Kiel sind gerade Pläne in Umsetzung, die vor dreißig Jahren in Gang gesetzt wurden. Entsprechend langen Atem brauche es für Veränderungen. Zusätzlich seien große Geldmengen erforderlich, so dass es schwierig sei, Bewegungen in Gang zu setzen, deren Erfolg erst lange nach Ende der kommenden Legislaturperiode zu erwarten sei.
Dies bekräftigte auch Jan Philipp Albrecht, der als Landesminister zwar eine hochstehende Position einbrachte, in den Prozessen jedoch begrenzten Einfluss hat. Von Bedeutung ist das Votum des Landes allerdings sehr wohl und so forderte Albrecht nicht nur Geld von höheren Stellen, um kostspielige Planungen und Projekte umsetzen zu können, sondern vor allem auch vernetztes Denken, um Straßenbau im Verbund mit Siedlungsplanung oder auch ÖPNV zu planen.
Diesen Punkt griff auch Anna Fiesinger auf, die überraschend viel Verständnis für die Belange der Pendler aufbrachte. Da sie selbst aus dem Raum Bad Segeberg stammte, berichtete sie, wieviel länger die Fahrt nach Kiel mit öffentlichen Verkehrsmitteln gegenüber dem Auto bräuchte, selbst wenn man den täglichen Stau in Kauf nähme. Sie forderte, die Infrastruktur bedarfsgerecht zu planen, sodass die Anfahrt beispielsweise mit Fahrrad im Zug möglich sei und flexible Fahrten ermöglicht würden.
Alles in allem wurde klar: Es wird kraftvollen Einsatz von allen Seiten brauchen, wenn die Südspange noch verhindert werden soll. Zurzeit scheint es überall gleich: Unser Land ist wie ein großes träges Schiff, schwerfällig zu manövrieren. Nur wenn alle Rädchen ineinander greifen, reagiert es langsam. Zu langsam womöglich. Zumal der Motor sich festzufressen scheint.
Über die Südspange hinaus wurde eines deutlich: Die Verkehrsanbindung des Kieler Umlands ist ein weiteres Thema, das kritische Aufmerksamkeit verdient, gerade in Anbetracht des geplanten Neubaugebietes im Süden der Landeshauptstadt. Aber das ist eine andere Geschichte …
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Mit Pferd und Wagen zum Barkauer Kreuz?
(Das Foto zeigt die Gemeinschaftswiese der Weinbergkoppel, die unter einem Autobahnkreuz verschwinden würde. )