Richtig gelesen: die Straße heißt einfach nur Sören. Das bedeutet trockener Grund. Sören ist Teil eines Wohngebiets aus den 30er Jahren, bestehend aus den Straßen Röhbarg, Hollwisch, de Twiel und Sören. Gelegen in Ellerbek an der Grenze zu Gaarden.
Die zweistöckigen Wohnhäuser aus rotem Backstein inmitten großzügiger Grünanlagen sehen sehr idyllisch aus. Auf der Wiese flattert Wäsche an der Leine. Leider haben die Wohnungen keine Balkone. Schöner wäre es auch, wenn die Wohnungen im Parterre einen direkten Zugang ins Grüne hätten. Ich kann in einem der Häuser in den Flur blicken , der ziemlich eng ist und wenig Platz für den “Familienfuhrpark” , sprich Buggy, Kinderwagen, Fahrrad lässt. Es ist typisch für die Bauart der 30er Jahre, dass Wohnhäuser nicht wirklich familienfreundlich gebaut wurden.
Ich unterhalte mich mit einigen Anwohnern über die Straße. Drei Themenbereiche werden mehrfach angesprochen: das verschwundene Einkaufszentrum, der Müll und die Bäume.
Thema Müll
“Gaarden rückt immer näher. Jetzt wohnen hier auch schon Ausländer.” Dieser Gesprächspartner regt sich in rassistischer Weise über den Stadtteil Gaarden auf. Den Wortlaut möchte ich nicht wiedergeben. Dann fährt er fort, über das Müllentsorgungsverhalten seiner ausländischen Nachbar*innen zu schimpfen:
“ Die Flüchtlinge trennen den Müll nicht. Die Tonnen sind voll bis zum Anschlag. Und wenn die Tonnen nicht richtig befüllt werden, nimmt die Müllabfuhr sie nicht mit. …. Aber ich habe mit den Ausländern geredet und dann ist es besser geworden. ….. Die Müllabfuhr sollte in allen möglichen Sprachen Aufkleber anbringen. Die Flüchtlinge kennen das ja von zu Hause nicht.“
Ein anderer Anwohner: “Ich wurde noch so erzogen, dass man den Müll aufhebt. Auch wenn er von anderen ist.” Wir beobachten eine herumflatternde Plastiktüte. Die Prägung durch die Erziehung scheint bei meinem Gesprächspartner aber schon etwas verblasst zu sein, denn er macht keine Anstalten , die Tüte aufzuheben. Im Hintergrund erscheint ein Mann mit großem Besen und beginnt, den Bürgersteig zu fegen.
Mein Eindruck von der Straße an diesem Tag: absolut schier, wie man im Norden sagt. Rasen akkurat geschnitten, kaum ein Blatt auf der Straße. An diesem Tag sind die Müllcontainer nicht übervoll, und der einzige Müll weit und breit ist die besagte Plastiktüte. Ist vielleicht ein besonders guter Tag.
Thema Einkaufszentrum
Bis vor etwa sechs Jahren gab es gleich um die Ecke auf Poppenrade ein kleines Einkaufszentrum mit Bäcker, Drogerie, Frisör und einem kleinen Lebensmittelladen. An der Stelle des ehemaligen Einkaufszentrums befindet sich jetzt ein gepflasterter Platz mit Bänken. Dieses Einkaufszentrum wird vermisst. Aber eine ältere Anwohnerin thematisiert auch den Zusammenhang zwischen Einkaufen und Auto. Sie sagt:
“ Ich fahre einmal in der Woche zum Einkaufen, und dann fahre ich da hin, wo es gute Parkmöglichkeiten gibt. Meistens nach Elmschenhagen. Hier, vor unserem früheren Laden gab es nur zehn Parkplätze. Deshalb habe ich nicht dort eingekauft. Zum Glück können mein Mann und ich noch Auto fahren. Wenn wir das mal nicht mehr können, dann wäre es natürlich schön, noch unser kleines Einkaufszentrum zu haben. War gleich hier um die Ecke. “
Thema Natur
“Ich bin hierher gezogen, weil ich hier in die Bäume sehen kann. “ Er meint die Bäume der Parkanlage Dockshöhe, die an die Siedlung angrenzt. ”Aber jetzt stehen hier schon seit fünf Jahren diese Absperrgitter. Seit fünf Jahren! Wird für nichts gebraucht. Das ist ein Fall für die Presse!”
Eine alte Linde musste gefällt werden, weil der Sturm sie gespalten hatte. Eine andere angeblich hundertjährige Linde steht noch. Etliche stattliche Bäume schmücken die Grünanlagen.
“Es ist jetzt heller ohne die Linde.”
“Aber als es im Sommer so heiß war, war es schön, den Schatten zu haben.”
“Die ganzen Blätter machen so viel Arbeit!”
“Die Vögel brauchen die Bäume!”
Die Vögel: Raben (oder doch eher Rabenkrähen?) , Spechte, sogar Kraniche wurden beobachtet.
“Ich höre die Natur aus meinem Fenster.”
Zwei Personen , mit denen ich mich unterhalte, verstehen sich untereinander so gut, dass sie – angeregt durch das Thema Bäume – weitere Wald- und Baumgeschichten aus ihrer Jugend erzählen. Dann geht es weiter mit den Themen Klimawandel und Plastik im Meer. Am Ende wird es etwas esoterisch:
“Die Natur passt sich an, wir werden es sehen. Eines Tages bauen sich die Muscheln Gelenke aus Plastik.”
Der Optimismus der Sören-Anwohner*innen steckt mich an. Alles wird gut. Die Geflüchteten lernen das Mülltrennen, wenn man es ihnen nett erklärt. Die Muscheln in der Ostsee bauen sich künstliche Gelenke. Es gibt noch Vertrauen in die Presse. Dennoch bleibt ein Rest von Beunruhigung bestehen, wenn ich an die Metallgitter denke. Werden sie jemals abgeholt ?
Ein Gedanke zu „Straßenportrait : Sören“