Missing Link 3

Werkschau von Charlayne Querner im Kieler Kloster
(posted by P.L.G.)

Zwischen Ewigkeitssonntag und dem 1. Advent besuche ich die Ausstellung im Kieler Kloster. Eine Zeit zwischen den (Kirchen-)Jahren, ein bisschen undefiniert. Ein Dienstag, der nicht richtig hell wird. Kalter Regen. Kräftige Böen. November eben… man will eigentlich ganz woanders sein.
Wettervermummt betrete ich die Ausstellungsräume: weißgetünchte neugotische Gewölbe, tageslichterhellt – soviel der November davon eben hergibt. Ich treffe Charlayne Querner, die während der Öffnungszeiten immer anwesend ist.

im Kieler Kloster
Charlayne Querner

Sie schafft Bilder und Skulpturen in einer grafischen und malerischen Mischung mit figürlichen und abstrakten Elementen. Sie verwendet bedruckte Papiere, Fäden und Farbe, aber auch Fundstücke und Alltagsmaterial, aus denen sie in verschiedenen Techniken Collagen herstellt. Verrätselte Inschriften, Reliefstrukturen, wiederkehrende Schablonenelemente auf Leinwänden stehen neben in Kokons eingesponnenen Figuren und Lichtinstallationen. Das Werk ist vielfältig und dennoch spürt man einen Faden, der sich durch die Werke aus verschiedenen Entstehungszeiten zieht. Nicht unbedingt einen roten Faden, denn Querner beschränkt sich überwiegend auf die Tonpalette von weiß-grau-schwarz und Erdtöne. So bekommen auch Strukturen und Schatten als Spielelemente ihre Bedeutung.

Charlayne Querner
Charlayne Querner

 

1966 im Freiberger Erzgebirge geboren, studierte Charlayne Querner in den 80er Jahren an der Universität Leipzig und nach der Wende in den 90er Jahren in Hannover Grafikdesign. Sie kam 1996 nach Schleswig-Holstein und lebt heute im Kieler Umland.

Charlayne Querner sucht nach Wurzeln, sowohl nach ihren persönlichen als auch nach den kollektiven, menschheitlichen. Als Tochter eines Geologen aus Guyana, dem „Land der vielen Wasser“, spürte sie auf einer Reise den Ursprüngen der indigenen Kultur dieses südamerikanischen Landes nach. Einflüsse dieser Kultur fließen in ihr Werk ebenso ein, wie archaische Bildelemente, die an vorgeschichtliche Höhlenmalerei erinnern. In ihren Arbeiten begegnen wir ihren afro-südamerikanischen Wurzeln, ihrer Heimat im sächischen Erzgebirge und ihrer jetzigen Heimat Kiel.

Das Kieler Kloster als Ursprung der Stadt inspirierte sie zu einer Steinkreis-Skulptur, in der sie den Grundstein des Klosters im Klostergarten als Zentrum der Skulptur einbezieht. „Pax optima rerum“ – Frieden ist die beste Sache – liest man am Grundstein, das Motto des Grafen Adolph IV., Gründervater des Kieler Klosters und damit der Stadt.
Charlayne Querners Steinskulptur aus gesammelten, verwitterten Bausteinen zeichnet eine direkte Verbindung aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart. Trümmersteine umfassen den Grundstein. Nach Aufbau folgt Zerstörung. Die Trümmer sind wie Treibgut, verwittern oder werden von anderen wieder aufgesammelt, werden erneut zu Baugut. Wiederaufbau, Umbau, Zerstörung, der wiederum Aufbau folgt. Ein zyklischer Kreislauf der Geschichte und dennoch nicht statisch wiederholend, sondern dynamisch entwickelnd. Die Auferstehungskraft scheint uns Menschen eingeschrieben zu sein.
Als Charlayne Querner davon spricht, dass wir am „Nabel von Kiel“ stehen, wird mir erst bewusst, auf welch historischem Boden wir dort stehen. Die zerstörte Heilige Geist Kirche, das auf- und umgebaute Kloster, das Denkmal des Gründungsvaters, der Brunnen auf dem einstigen Taufbecken.

Entwicklung interessiert die Künstlerin: die Ursprünge aufzuspüren, die Spur weiter zu verfolgen bis in die Gegenwart – „was im Moment Sinn macht“ (Querner) – und weiter in die offene Zukunft. Ihr Werk ist spirituell ohne religiös zu sein. Sie stellt Zusammenhänge her zwischen den Zeiten. Aus der Wiege der Menschheit, über archäologische Haltepunkte und historische Stationen bis zur gegenwärtigen, vorläufigen Stufe der Menschheitsentwicklung. „Das Missing Link sind wir“, so Charlayne Querner. „Raus aus der Höhle ins Licht. Wir sind in Entwicklung und wissen noch nicht, was daraus wird.“
Die Ausstellungsräume korresponieren mit dem Werk. Das neugotische Gewölbe mit den großen Fenstern ist schützend wie eine bergende Höhle und dennoch lichtdurchflutet, freundlich und hell. „Der schönste Raum meiner Biographie“, meint die Künstlerin.

Auch Musik ist eine Inspirationsquelle für die Künstlerin, vor allem die Klänge archaischer Instrumente, wie Trommeln und Flöten. Rhythmus und Komposition zeigen sich vor allem in grafischen Werken wie der „Forcierung der Kanonischen Verengung“.

Charlayne Querner
BALI

Die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern schätzt sie, weil sich daraus neue Impulse und Perspektiven ergeben und sich die Arbeiten gegenseitig befruchten.
So findet am 28.11. und am 5.12. um 16.00 Uhr in den Ausstellungsräumen eine Trommelsession mit Papa Dia statt. Vorher wird ein Experimantalfilm von Jutta Röhm gezeigt.

Die Ausstellung im Kieler Kloster, Falckstr. 9, ist am Dienstag von 11-16 Uhr, am Donnerstag von 17-21 Uhr und am Samstag von 16-20 Uhr geöffnet.
Noch bis zum 5. 12. kann man dort der Künstlerin begegnen und mit ihr auf Entdeckungsreise zu den Ursprüngen gehen.

Ich verlasse die Ausstellung erfüllt und nachdenklich. Mittlerweile ist das Halbdunkel des Tages dem Dunkel des Abends gewichen. Ich habe gemerkt, wie wenig ich doch über die historischen Wurzeln meiner Stadt weiß. Und wie viel weiß ich über meine eigenen? – Wir erfinden uns ständig neu. Meinen wir. Das ist der Zeitgeist. – Aber wie prägend sind die Wurzeln? Aus einem Rosenstock wächst keine Kartoffel und umgekehrt aus der Knolle keine Rose. Erst wenn wir unsere Wurzeln kennen, können wir wissen, was aus uns werden kann.

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