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Drogenkonsumraum und KOD-Dienststelle für Gaarden?

Kiel bekommt einen Drogenkonsumraum, höchstwahrscheinlich auf dem Westufer. Nach zwei Jahren Vorlauf und einer Änderung der Regeln auf Landesebene, ist dieses Projekt grundsätzlich beschlossen und die Verwaltung sucht nach einem Raum, den sie für diesen Zweck mieten kann.

In der Ratsversammlung gestern wurde gleich der nächste Drogenkonsumraum diskutiert, mit Standort in Gaarden, wo sich Kiels größter Drogenhotspot befindet. Dieses Projekt wurde jedoch mehrheitlich abgelehnt.

Drogenkonsum in Gaarden: mehr und sichtbarer

Die Drogenproblematik in Gaarden existiert schon lange. Sie ist aber gerade im letzten halben Jahr sichtbarer geworden. Dafür vermutet man zwei Gründe: Erstens Crack und zweitens Verdrängung.

Crack ist ein Kokain-Produkt. Es wird in kleinen Pfeifen geraucht. Es breitet sich zur Zeit (auch in anderen deutschen Städten) aus, weil es schnell wirkt, vergleichsweise günstig ist und leider auch sehr schnell süchtig macht. Aus einer kürzlichen Reportage des rbb (Link unten) lerne ich, dass ein „Kopf“ Crack um die vier Euro kostet. Dargestellt wird in diesem Film ein junger Mann, der seinen Tag mit Schnorren , Crack Kaufen und Konsumieren verbringt.

Während die Crack-Welle ein allgemeines Phänomen ist, verändert sich die Szene in Gaarden noch aus einem anderen Grund: Im vergangenen Sommer wurde ein Garten im Steinmarderweg geschlossen. Dieser Garten war eine Zeitlang ein Aufenthaltsort für Drogenabhängige. Nachdem die Stadt das Grundstück räumen ließ, waren etwa 30 Drogenabhängige auf der Suche nach anderen Aufenthaltsorten. Sie ließen sich in Kellern oder Hauseingängen nieder oder verbrachten Zeit in Bushaltestellen am Karlstal. Von dort werden sie aktuell auch vertrieben.

Was ist ein Drogenkonsumraum?

In einem Drogenkonsumraum, umgangssprachlich auch Druckstube genannt, können Suchtkranke in einem hygienischen Umfeld ihre mitgebrachten Drogen konsumieren. Das medizinisch geschulte Personal kann im Notfall eingreifen, und ansonsten zum safer Konsum beraten oder auch Ausstiegsmöglichkeiten aufzeigen. Allerdings ist der Drogenkonsumraum nicht für den längeren Aufenthalt gedacht. Es bleibt also die Frage, wo sich diese Menschen aufhalten können. Viele oder sogar die meisten haben keine Wohnung mit gemütlichem Wohnzimmer!

Ratsversammlung für KOD-Wache aber gegen Drogenkonsumraum

Die Drogenkriminalität beeinträchtigt die Menschen, die in Gaarden wohnen. Da ist nicht nur die Zunahme an Autoaufbrüchen zur Zeit, sondern auch der offene Konsum, der als störend empfunden wird. Auch der Abfall, der entsteht, wenn Menschen überwiegend auf der Straße leben, ist nicht nur ein ästhetisches sondern auch ein gefährliches Hygiene-Problem.

In der Ratsversammlung wurde der Drogenkonsumraum in Gaarden indirekt abgelehnt, insofern als ein Alternativantrag, der diesen Punkt nicht beinhaltete, von AfD, CDU, Grünen und SPD angenommen wurde. Rainer Kreutz (CDU) fürchtet den Pull-Effekt eines Druckraums in Gaarden. Nesimi Temel (SPD) wies auf die Problematik der “Bannmeile” hin, da in einem Drogenkonsumraum etwas nicht geahndet wird, was eigentlich strafbar ist. Dafür sieht er in Gaarden keine Akzeptanz.

Angenommen wurde dagagen der Prüfantrag für eine Dienststelle des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) in Gaarden: „Der KOD benötigt eine Dienststelle vor Ort als Infrastruktur für Kommunikation und Vorgangsbearbeitung, aber auch, um schnell zu den Einsatzorten in Gaarden zu gelangen, um ansprechbar zu sein, Präsenz zu zeigen und notwendige Ausrüstung vorzuhalten.“ Das Prüfergebnis soll bis Januar 2024 vorliegen.

Kiels OB Ulf Kämpfer und die Innenministerin des Landes Sabine Sütterlin-Waack haben sich getroffen und wollen eine “Sicherheitspartnerschaft” für Gaarden bilden, wobei noch nicht ganz klar ist, welche Art von Gremium das werden wird.

(Das Beitragsbild zeigt ein leer-stehendes Haus im Kirchenweg. )

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Drugs, but no sex im Steinmarderweg

Drogenkonsumräume in Baden-Württemberg

Zur Lage der Drogenabhängigen in Kiel

Die Sucht-und Drogenbeauftragte des Landes Angelika Bähre referierte im Sozialausschuss über die Lage der Drogenabhängigen in Kiel. Sie schätzt, dass mehrere Tausend Menschen Heroin oder Kokain konsumieren. Das ist allerdings nur eine grobe Annäherung, ausgehend von der Anzahl der getauschten Spritzen.

1.350 Menschen substituieren legal in Kiel, das heißt sie erhalten ein Ersatzmittel wie Methadon, um den Suchtdruck zu nehmen. Damit ist Kiel in Relation zur Bevölkerung die Substitutionshauptstadt von Deutschland.

Mehr Drogentote

Die Polizeistatistik weist 51 Tote für Drogentote für Schleswig-Holstein im Jahr 2019 aus. Die Tendenz zu steigenden Todeszahlen liegt paradoxerweise an Fortschritten in der Drogentherapie.Es sterben jetzt vermehrt Konsument*innen, die schon sehr langfristig Drogen konsumieren. Dank Substitution werden Abhängige deutlich älter als früher. 75 Prozent der verstorbenen Drogenabhängigen sind jetzt über 50. Sie haben dann aber viele gesundheitliche Probleme und sind früh gealtert. Typische Krankheiten sind Leberkrebs und Hepatitis C.

Kokain, Cannabis etc

Der Konsum von Kokain hat stark zugenommen, berichtet Frau Bähre. Das läge daran, dass Kokain gesellschaftlich akzepierter sei als Heroin. Es sind oft Selbstständige, die hart arbeiten und in ihrer Freizeit Kokain konsumieren und in die Sucht abgleiten. Kokain gelte als Partydroge und – man mag es kaum glauben – als Naturprodukt und damit sicherer als synthetische Partydrogen. Eine Rolle spielt auch der gesunkene Preis.

Auch medizinische Opiate werden konsumiert, oft von Schülern, die ihren Eltern Medikamente wie Tramal entwenden. Diese medizinischen Opiate werden aber auch von Dealern vertrieben.

Unter jungen Leuten hat Cannabis heute einen Stellenwert ähnlich wie Alkohol. Das ist problematisch, weil das Cannabis von heute gehaltvoller ist als die Hippiedroge der Großeltern. Das moderne Cannabis kann zu Psychosen und Depressionen führen. Frau Bähre warnte außerdem über die besondere Gefahr von Drogen bei jungen Leuten, denn das Gehirn ist erst mit 25 voll entwickelt.

Der reine Heroinkonsum ist beinahe ausgestorben. Typisch ist dagegen der polyvalente Konsum, oft auch in Verbindung mit Substitution.

Hilft ein Drogenkonsumraum?

Der Sozialausschuss sprach sich mehrheitlich, bei Ablehnung durch die CDU, für einen Drogenkonsumraum aus. Der nächste Schritt ist die Beratung in der Ratsversammlung. Umgesetzt werden kann das Projekt erst, wenn auch das Land SH einverstanden ist.

Die Vorteile zur Schadensminimierung sind zahlreich:

  • Alte Spritzen können gegen neue getauscht werden.
  • Konsumierende kommen hier eventuell das erst Mal in Kontakt mit Hilfestellen.
  • In diesem Raum können sie sicherer spritzen oder inhalieren als auf der Straße.

Diesen Vorteilen stehen allerdings auch erhebliche Kosten gegenüber. Erfahrungen in anderen Städten haben gezeigt, dass so ein Konsumraum nur angenommen wird, wenn er täglich acht Stunden geöffnet ist. Bei kurzen Öffnungszeiten von etwa zwei Stunden kommt niemand. Es müssen also ganztags gut ausgebildete Sozialarbeiter*innen und medizinisches Personal anwesend sein. Frau Bähre schätzt den Betrieb eines Drogenkonsumraums unter diesen Bedingungen auf 900.000 Euro im Jahr.

Sozialdezernent Gerwin Stöcken sieht einen Drogenkonsumraum als problematisch. Er sagte: “Wenn wir das nur in Kiel machen, hat Kiel noch mehr Anziehung.”

Frau Assaeva (CDU) bezeichnete einen Drogenkonsumraum als Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik der Stadt. Das würde zu Lasten der bestehenden Institutionen gehen. In der Diskussion waren sich alle Befürworter einig, dass der Konsumraum nur ein Add-On sein dürfe.

Wenn Drogenkonsumraum, dann richtig!

Frau Bähre erwähnte ein großes Problem bei der Ausgestaltung so eines Raumes. Einige Bundesländer schließen den Beikonsum bei Substituierten aus. Damit wird aber ein großer Kreis von Drogenabhängigen aus dem Konsumraum ausgeschlossen. Die meisten Substituierten nehmen doch noch Rauschmittel nebenbei und unterlaufen mit diesem Verhalten gewissermaßen den Sinn der Substitution.

Bei der Konzipierung eines Drogenkonsumraums sollte auch darauf geachtet werden, dass es Angebote für Frauen, etwa separate Öffnungszeiten gibt. Denn die Erfahrung hätte gezeigt, dass Frauen das Angebot sonst kaum nutzen würden, erklärte Frau Bähre.

Anna-Lena Walczak (SPD) fasste wohl die Mehrheitsmeinung im Sozialausschuss über den Drogenkonsumraum zusammen: “Es ist ein Weg für einen menschenwürdigen Umgang mit Menschen, die ein normales abstinentes Leben nicht so einfach schaffen.”

Damit Kiel einen Drogenkonsumraum bekommen kann, müsste das Land eine entsprechende Verordnung erlassen.

Volksdroge Nummer eins ist übrigens immer noch der Alkohol. Ganz legal im Supermarkt erhältlich.

(Das Foto zeigt einen Spritzenautomat an der Ecke Kaiserstraße /Karlstal.)

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