Auf dem Wirtschaftskongress der Kieler Grünen (Stadt 2030) hörte ich einen sehr bemerkenswerten Vortrag über die Frage, ob Suffizienz ein Leitbild für die Stadtentwicklung sein kann. Es diskutierten Dr. Michaela Christ vom Norbert Elias Center Flensburg und Henning Brüggemann, Bürgermeister von Flensburg. Der Vortrag hatte den Charme einer Talkshow, weil die beiden abwechselnd konträre Positionen vertraten.
Was ist eigentlich Suffizienz?
Das Wort kommt aus dem Lateinischen. “Sufficere” heißt “ausreichen” oder “genug sein”. Eine auf Suffizienz ausgerichtete Kommunalpolitik würde nicht auf Wachstum setzen , sondern auf Zufriedenheit mit dem gegenwärtigen Level, würde eventuell sogar in manchen Bereichen eine Reduktion anstreben. Frau Christ betonte, dass sich der Klimawandel nicht allein durch mehr Effizienz oder mehr Recycling stoppen lässt. Ziel sollte eine absolute Verringerung des Ressourcen- und Naturverbrauchs sein. “In der aktuellen Diskussion wird die Suffizienz vernachlässigt. “
Eine an Suffizienz orientierte Politik würde:
- Strukturen schaffen, die ein genügsames Verhalten möglich machen.
- Wohlbefinden erhöhen ohne ein “immer mehr”.
Frau Christ nannte auch konkrete Schritte um diese Ziele zu erreichen. Autofreie Sonntage, Tempo 30 in der Innenstadt und verkehrsberuhigte Gebiete würden die Luft verbessern. Für schrumpfende Kommunen macht es Sinn, junge Familien zu unterstützen, wenn sie eine Innenstadtimmobilie mit Sanierungsbedarf kaufen. Das belebt die Innenstadt und wirkt der Zersiedelung der Landschaft entgegen. Eine Regionalisierung der Speisekarten in öffentlichen Kantinen vermeidet lange Transportwege. Repaircafés , mehr Grünflächen und Urban Gardening sind weitere Ideen. Immer geht es um die vier “Ents”: Entschleunigen, Entflechten, Entrümpeln, Ent-Kommerzialisieren.
Kann Suffizienz in der Kommunalpolitik gelingen?
Henning Brüggemann hat echte Sympathie für den Suffizienzgedanken, legte aber in seinem Teil des Vortrags dar, warum dieser radikale Ansatz aus seiner Erfahrung nicht umsetzbar ist. Er sieht dabei sehr wohl die Problematik des “immer mehr”. Am Beispiel seiner Stadt : Flensburg hat heute 3000 PKWs mehr als vor sechs Jahren. Wenn man Stellflächen für diese Autos vorhalten wollte, entspäche das drei Fußballfelder. Die Stadt gerät an ihre Grenzen, was die Fläche anbetrifft. Dennoch ist er skeptisch ob ein Abschied vom Wachstum in der Kommunalpolitik durchsetzbar ist.
Ein Grund ist die Angst des Politikers vor dem (vermeintlichen) Wählerwillen. “Weniger Autos, das lässt sich in der Politik nur schwer durchsetzen,” so Brüggemann. Er meint, dass in der Bevölkerung auch immer noch viel Zustimmung für Wachstum und Großprojekte vorhanden ist. Zur Zeit begeistern sich die Flensburger für ein neues Stadion für 10.000 Besucher . Auch die Wirtschaft legt sich quer. Brüggemann beschrieb, dass Flensburg es nicht schafft, bestimmte Parkplätze am Hafen aufzugeben, weil die Wirtschaft diese Parkplätze dort haben will. Es erfordert also viel Mut, Suffizienz in der Politik umzusetzen, und die Gefahr ist reell, dass eine Partei, die dies versucht, bei der nächsten Wahl abgestraft wird.
Noch gravierender ist dagegen ein anderes Problem. In der Politik gilt das Prinzip “wer bestellt, bezahlt” nicht. Kommunen müssen viele Aufgaben aus eigener Kraft finanzieren, die auf Bundesebene beschlossen werden. Brüggemann nannte die neue Brandschutzverordnung. Mir fällt noch die Kita- Garantie als großer Kostenfaktor ein. Diese zusätzlichen Aufgaben muss eine Stadt größtenteils durch Umwidmung von Mitteln oder durch Erzeugung von mehr Gerwerbesteuereinnahmen finanzieren. Aus diesem Grund werden neue Gewerbegebiete und Baugebiete ausgewiesen, für mehr Tourismus geworben und alles getan, damit die Stadt wächst.
Zumindest in der Tendenz waren sich die Wissenschaftlerin und der Bürgermeister einig. Brüggemann: “Irgendwann müssen wir uns dem Thema Suffizienz stellen, denn so geht es nicht mehr weiter.” Was die Umsetzung im Hier und Jetzt betrifft, gingen die Meinungen allerdings auseinander.