Bulgaren in Kiel haben viele Probleme

Vor einiger Zeit entdeckte ich das deutsch-bulgarische Freundschaftscafé im Kirchenweg in Gaarden. Hier treffen sich bulgarische Tagelöhner mittags bevor sie abgeholt werden für ein paar Stunden Arbeit. Es gibt Tee aus dem Samowar, und meistens sind nur Männer im Café. Ich fragte bei meinem ersten Besuch erschrocken , ob Frauen überhaupt erwünscht sind. Kein Problem, sagte der türkischstämmige Wirt . Bei meinem nächsten Besuch brachte ich Flyer vom Medibüro, die dankbar entgegengenommen wurden, und führte einige Gespräche, soweit es sprachlich möglich war. So begann ich mich für die Situation der Bulgaren in Kiel zu interessieren. Ich nahm Kontakt auf zu Borislava Naji von der Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit Schleswig-Holstein, um mehr über die Arbeitssituation zu erfahren.

Diese Beratungsstelle in der Legienstraße 22 hilft ausländischen Arbeitnehmern, wenn Sie ihren Lohn nicht erhalten haben oder keinen Urlaub nehmen dürfen oder andere Fragen zu ihrem Arbeitsverhältnis haben.

Das Gespräch mit Frau Naji erschütterte mich einigermaßen. Frau Naji betonte zwar, dass viele Arbeitgeber fair sind und sich Probleme oft mit einem Fax oder Telefonat aus dem Weg räumen lassen. Aber es gibt auch die anderen Arbeitgeber, die ausnutzen und übervorteilen. Dazu kommt die Naivität der Bulgaren, die anfänglich kein Deutsch sprechen und sich auch oft in Zwangslagen befinden. So werden Verträge unterschrieben ohne sie zu verstehen mit teils teuren Konsequenzen.

Wer sind die Bulgaren in Kiel?

Die meisten sind Roma. Der Bildungsstand ist meist niedrig, manche sind Analphabeten. Sie arbeiten als ungelernte Arbeiter auf dem Bau, für Speditionen oder in der Reinigung. Vor allem die Frauen gehen putzen. Viele arbeiten ohne Verträge. Manche sind selbstständig ohne es zu wissen. Sie denken, dass sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben während sie tatsächlich ein Gewerbe anmelden. Die Verzweiflung ist dann groß, wenn sich das Finanzamt meldet oder sich herausstellt, dass sie nicht krankenversichert sind. Sie wohnen im Stadtteil Gaarden, in der Kaiserstraße, Medusastraße oder im Kirchenweg. Nur in Gaarden haben sie eine Chance auf Wohnraum.

Frau Naji denkt, vielen ging es besser in der Heimat als in Kiel. Hier verdienen die meisten wenig und zahlen viel für Miete, oft 400 – 600 Euro für ein einzelnes Zimmer, in dem dann eine ganze Familie lebt. Manche leben in Containern auf dem Bau und zahlen auch hier 5 Euro pro Nacht für den Schlafplatz.

Viele Roma werden in ihrem Herkunftsland mit dem 1.000 Euro Lohn -Versprechen angelockt. 1.000 Euro sind schon an sich nicht viel, aber gravierender ist die Konstruktion dieses Bezahlmodells an sich. Es setzt sich zusammen aus einer geringfügigen Beschäftigung für 450 Euro für zwanzig Stunden Arbeit und einer versprochenen Aufstockung durch das Jobcenter auf 1.000 Euro. Und hier beginnen die Probleme. Es gibt während der ersten 12 Monate keinen Rechtsanspruch auf Aufstockung . Die Praxis, schon vor Ablauf der 12 Monate aufzustocken soll auch auslaufen, weil es den falschen Anreiz gesetzt hat. Aber es war auch schwierig und keinesfalls automatisch, als es diese Praxis noch gab. Um Zahlungen vom Arbeitsamt zu bekommen muss eine Verdienstbescheinigung und ein Kontoauszug beim Jobcenter vorgelegt werden. Aber oft wird der Lohn erst spät bezahlt oder der Verdienstausweis nicht zeitnah ausgestellt, und schon klappt es nicht mehr mit dem Aufstocken.

Falsche Verträge

Häufig werden den bulgarischen Roma falsche Verträge untergejubelt, die sie unterschreiben, ohne sie zu verstehen oder weil sie keine Wahl haben.

  • Der vermeintliche Arbeitsvertrag ist in Wirklichkeit eine Gewerbeanmeldung.
  • Die Kündigung ist in Wirklichkeit ein Aufhebungsvertrag. Das bedeutet 3-monatige Sperre bevor Arbeitslosenunterstützung gezahlt wird. Danach wird die Freizügigkeit überprüft. Nach sechs Monaten auf Hartz IV verlieren sie den Arbeitnehmerstatus und fangen wieder von vorne an, d.h. 12 Monate sozialversicherungspflichtige Arbeit bevor sie wieder Sozialleistungen erhalten können.

Besondere Zwangslagen der bulgarischen Roma

Besonders übel dran sind Bulgaren, bei denen Arbeit und Wohnung gekoppelt ist. Das ist häufig auf dem Bau der Fall. Die bulgarischen Bauarbeiter erhalten oft einen Schlafplatz, den sie bezahlen müssen, in einem Container auf der Baustelle. Wenn sie aufmucken, ist sowohl die Arbeit als auch der Schlafplatz weg, und sie landen als Bettler auf der Straße.

Frau Najis Kollege Herr Stoica erzählte von zwei jungen Männern, in diesem Fall junge Rumänen, die von einer Baustelle aus anriefen. Sie wussten nicht wo sie waren. Herr Stoica wies sie an, erst einmal nach einem Straßenschild zu suchen. In einem fremden Land , ohne die Sprache zu kennen, und in teils völliger Abhängigkeit vom Arbeitgeber, der mal Lohn zahlt und mal nicht, so stellt sich die Lage von einigen der Osteuropäer dar.

Oft sind die Arbeitsverträge ausbeuterisch. Eine Masche sind unrealistische Arbeitsanforderungen. Frau Naji erzählt von Frauen in Putzkolonnen, die theoretisch für 20 Stunden beschäftigt sind und bezahlt werden, in der Realität aber den ganzen Tag arbeiten, um die vorgesehene Anzahl an Zimmern zu putzen. Selbstständige dagegen werden oft für die letzten Aufträge nicht bezahlt. Da werden dann scheinbare Mängel festgestellt, um nicht zahlen zu müssen. Das ist umso gemeiner, als es sich oft um unfreiwillige Selbstständigkeit handelt.

Verloren in Gaarden

Frau Naji sagt, viele Roma trauen sich gar nicht aus Gaarden heraus, sodass ihre Wahrnehmung der Stadt Kiel sehr auf diesen Stadtteil verengt ist. Frau Naji bietet deshalb auch in Gaarden eine Sprechstunde an (siehe unten). Da die Arbeitgeber der Bulgaren oft Türken sind, und Gaarden sehr türkisch geprägt ist, lernen die Bulgaren hier mehr Türkisch als Deutsch . Sie leben in einer Parallelwelt. Oft zahlen sie auch noch unnötig Geld für Beratungsangebote: 20 Euro für das Erklären eines Briefes oder 200 Euro für das Ausfüllen eines Kindergeldantrags. Mit besseren Deutschkenntnissen könnten sie sich wesentlich selbstständiger organisieren.

Wieviele Bulgaren arbeiten in Schleswig-Holstein ?

Die folgenden Zahlen sind von der Bundesagentur für Arbeit und beziehen sich auf unterschiedliche Stichtage im Jahr 2017:

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte: 2.228

Unterbeschäftigte: 894

Arbeitslose: 581

Es sind also 3,7 Tausend Bulgaren gemeldet. Dazu kommt noch eine unbekannte Zahl an nicht-gemeldeten Personen .

Zurück in die Heimat?

Warum gehen nicht einfach alle zurück, wenn es hier so schwierig ist? Für Rückkehrwillige bietet das Sozialamt sogar ein Rückkehrdarlehen an, was allerdings viele nicht wissen, oder es nicht schaffen, den Antrag zu stellen. Die Antwort ist vielschichtig: Einigen geht es in Kiel doch besser als zu Hause. Einige können nicht zurück, weil sie sich schon in ihrer Heimat verschuldet haben, um nach Deutschland zu kommen, und bei einer Rückkehr sofort ihre Gläubiger auf den Fersen hätten. Einige sind zu stolz, um zuzugeben, dass sie hier nur ausgenutzt werden, und hoffen, dass es irgendwann besser wird.

Kontakt zu Borislava Naji, die bulgarisch spricht: 0431 5194 1670, Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit, Legienstraße 22, 24103 Kiel. An manchen Donnerstagen berät sie im Mehrgenerationenhaus am Vinetaplatz in Kiel-Gaarden.

Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit
Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Legienstr.22, Kiel. Hier können sich ausländische Arbeitnehmer beraten lassen.

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