Vielen Flüchtlingsinitiativen brechen die HelferInnen weg. Diejenigen, die dabei bleiben, fühlen sich erschöpft. “Ich kann nicht mehr.” , oder “Ich muss die ganze Zeit weinen.” , solche Sätze höre ich .
Woran liegt es?
- Alexandra Hebestreit von der Ehrenamtsagentur Nette Kieler sagte neulich auf einem Treffen der Initiativen: “Viele haben sich letztes Jahr verausgabt, waren erschöpft und mussten sich zurückziehen” Sie empfiehlt sehr, auf die eigenen Grenzen zu achten, um langfristig engagiert zu bleiben.
- Ein anderer Grund ist sicher auch, dass weniger Hilfe benötigt wird. Viele der Geflüchteten, die 2014 und 2015 nach Deutschland kamen, können schon gut genug Deutsch um ihr Leben zu regeln. Sie finden sich in Kiel zurecht, haben Fahrräder und verstehen das Bussystem. Man vergisst schon wieder , wie desorientiert die Geflüchteten am Anfang waren.
Eine Helferin berichtet: „Am Tag nach dem Mohammed ein Fahrrad bekam, griff ihn die Polizei auf der Autobahn auf. Er hatte sich völlig verfahren.“
Phase 1
Man kann die Hilfe für die Geflüchteten in verschiedene Phasen einteilen.
Am Anfang war die Not groß und existentiell. In einem wahnsinnigen Kraftakt wurden Tausende von Geflüchteten mit dem Notwendigsten versorgt. Die Kommunen fanden Wohnraum. Die Geflüchteten erhielten ein Taschengeld. Es war aber die Zivilgesellschaft, die Kleidung, Decken, Kinderwagen, Fahrräder, Geschirr und auch den anfänglichen Sprachunterricht organisierte.
Eine Helferin erinnert sich: “Als das 4-jährige syrische Mädchen zum ersten Mal zu mir nach Hause kam – es war im Dezember oder Januar – steckten ihre nackten Füße in Gummistiefel.”
Für die Erstversorgung war die als Facebook-Gruppe entstandene Helferinitiative Kiel hilft Flüchtlingen Dreh- und Angelpunkt für die unglaubliche Hilfs- und Spendenbereitschaft der KielerInnen. Ein Zitat von ihrer Website zeigt die Dimension dieses Unterfangens:
“Wir dürfen nach 6 Wochen stolz ein Resümee ziehen (Stand 10.10.2015):
- Über 11.000 Mitglieder.
- Mehr als 600 ehrenamtliche Helfer koordiniert im Einsatz bei der aktiven Flüchtlingshilfe. Davon bis zu 100 zeitgleich.
- Versorgung von Flüchtlingseinrichtungen in ganz Schleswig-Holstein, u.a. EAE Nordmarksportfeld, Notunterkunft Markthalle, Notunterkunft Ostsee-Terminal, Gemeinschaftsunterkunft Friedrichsort, Gemeinschaftsunterkunft Dietrichsdorf, Einrichtung Hof Hammer, Gemeinschaftsunterkunft Elmschenhagen, Gemeinschaftsunterkunft Russee, EAE Neumünster, EAE Albersdorf, EAE Boostedt, Flüchtlingsunterkunft Salzau.
- Lagerbestand: 80.000 Kleidungsstücke, Über 1.100 Kartons Hygieneartikel, 2.700 Bettwäscheartikel, 677 Kartons Babysachen, 250 Schreibwarenartikel, 4.150 Schuhe, 140 Koffer und Taschen. “ http://kiel-hilft-fluechtlingen.de/
Phase 2
Schon im Februar 2016 zeichnete sich ab, dass der Bedarf an Spenden zurückging. Die Geflüchteten fanden sich in Kiel zurecht. Sie hatten Flohmärkte und Textildiscounter entdeckt und wollten sich auch modisch und nach ihrem eigenen Geschmack kleiden. Die Initiative Kiel hilft Flüchtlingen hat mittlerweile ihr Lager aufgelöst.
In dieser zweiten Phase begann für die Geflüchteten und ihre HelferInnen die Auseinandersetzung mit der Bürokratie. Der Asylantrag, die Meldung beim Jobcenter, der Antrag auf Aufenthaltserlaubnis, Kindergeldantrag, eventuell Anfechtung des abgelehnten Asylbescheids. Was für uns Einheimische schon kompliziert genug erscheint, nimmt für die Geflüchteten noch eine ganz andere Dimension an.
Eine Helferin berichtet: “ Ich telefonierte zwei Tage lang um den Verbleib des Familienbuches bei der Ausländerbehörde herauszufinden. “
Eine andere Helferin aus dem Umland von Kiel erlebte Folgendes.Sie begleitete einen syrischen Flüchtling zu einer Behörde.
„Das ist jetzt die Sprechstunde für Berufstätige.“
„Ich bin berufstätig.“
„Aber Herr Mustafa, um den es hier geht, ist nicht berufstätig.“
„Das stimmt, aber sein Deutsch ist nicht gut genug. Deshalb bin ich hier.“
Die Mitarbeiterin blieb stur. Die Angelegenheit konnte an dem Tag nicht geklärt werden, weil Herr Mustafa nicht berufstätig war.
Die Geflüchteten können nach ihrer Anerkennung eine Wohnung mit Erlaubnis des zuständigen Jobcenters mieten. Das ist für Viele auch eine Herausforderung, die sie nicht ohne Hilfe meistern können. Die Suche nach einem Integrationskurs (so heißen die offiziellen verpflichtenden Deutschkurse) oder sogar einem Praktikum steht für Viele zur Zeit auf dem Programm.
Auch wenn der Hilfsbedarf nicht mehr so groß ist wie am Anfang, gibt es immer noch viel zu tun. Vor allem in der Sprachvermittlung spielt der private Deutschunterricht noch eine wichtige Rolle, denn längst nicht alle Geflüchteten haben schon einen Platz in einem Integrationskurs. Außerdem gehen diese Integrationskurse nicht auf die individuellen Lerngeschwindigkeiten ein, sodass eine begleitende Unterstützung sinnvoll erscheint.
Phase 3
Die Integration in die Gesellschaft bedeutet auch, Freundschaften zu schließen, gemeinsam Feste zu feiern und gute Nachbarschaft zu pflegen. Manchmal gelingt das auch. Dann heißt es nicht mehr Helfen sondern Zusammenleben.