Zum Beispiel Rwan

Portrait eines Syrers, der seit etwa einem Jahr in Kiel lebt.

Flüchtlling
Rwan

Ich schreibe öfters über Initiativen, die den ankommenden Flüchtlingen helfen. Aber wie geht es den Flüchtlingen selber? Die meisten, die mir begegnen, sind gerade angekommen, haben also noch nicht viel Erfahrung in Deutschland sammeln können. Außerdem sind die sprachlichen Hürden manchmal unüberwindbar. Also startete ich einen Facebook-Aufruf, um gezielt Personen kennenzulernen, deren Ankunft schon etwas zurückliegt. Es meldete sich ein junger Syrer namens Rwan .

Wir trafen uns in einem Café. Rwan (19) spricht fast fehlerlos Deutsch, sprüht vor Intelligenz und ist ein angenehmer Gesprächspartner. Seine Geschichte ist ungewöhnlich positiv, aber sie zeigt, dass Flucht nicht immer ein Trauma sein muss.

Man denkt, alle Flüchtlinge kommen in überfüllten Booten über das Mittelmeer. Rwan und seine Familie kamen im Flugzeug aus der Türkei ganz legal nach Deutschland. Eine in Deutschland lebende Tante hatte die Einreise hier bei der Ausländerbehörde beantragt. Es gab zu der Zeit ein Aufnahmeprogramm für 5 000 Bürgerkriegsflüchtlinge. Rwan, seine Mutter und jüngere Schwester schafften es, in dieses Programm aufgenommen zu werden.

Etwas Abenteuer gab es dann aber doch. Rwan floh zunächst mit Mutter und Schwester in die Türkei, wo sie auf eigene Faust versuchten, nach Deutschland einzufliegen. Da sie keine Visa hatten, klappte das nicht. Sie mieteten dann eine Wohnung, die ein in Syrien gebliebener Onkel finanzierte, und schlossen sich Schleppern an. Zum Glück, wie man nachträglich sagen kann, wurden sie von diesen Schleppern von Tag zu Tag und von Woche zu Woche hingehalten. Gleichzeitig bemühte sich die Tante in Kiel (wie oben beschrieben) erfolgreich bei der Ausländerbehörde um Einreisegenehmigungen. Nach einem aufreibenden Jahr in der Türkei kam dann der glückliche Tag, als sie bei der deutschen Botschaft ihre Visa abholen konnten und nach Deutschland fliegen durften.

In Kiel konnten sie dann zunächst bei der Tante wohnen, sodass ihnen der Aufenthalt in Heimen erspart blieb. Inzwischen haben sie ihre Aufenthaltsgenehmigungen und auch eine eigene Wohnung. Es war sehr schwierig, eine Wohnung zu finden. Rwan: “Ich habe das Gefühl, Vermieter vertrauen Flüchtlingen nicht. Vielleicht denken sie, wir wären schmutzig.”

Rwan absolvierte einen sechs-monatigen Sprachkurs, täglich vormittags, den er mit dem Level B1 abschloss. Den B2-Kurs durfte er überspringen und nimmt jetzt an einem C1-Kurs an der CAU teil. (Die nächste Stufe C2 entspräche dann schon dem Niveau eines Muttersprachlers!) Sein Deutsch ist so flüssig, dass ich im Gespräch keine sprachliche Rücksicht nehmen muss.

Er hat sich für Informatik eingeschrieben, hofft aber einen der wenigen für Ausländer vorgehaltenen Studienplätze in Medizin zu bekommen.

Auf meine Frage, was er an Deutschen seltsam findet, nennt er ganz diplomatisch unsere extreme Pünktlichkeit. Als ich nach der Rolle von Frauen fragte, weil man immer von den unterdrückten arabischen Frauen liest, weist er ganz empört auf den hohen Bildungsstand der Frauen in seiner eigenen Familie hin. Seine Mutter arbeitete in der alten Heimat als Grundschullehrerin, und eine Tante ist Ärztin.

Natürlich vermisst Rwan seine Heimatstadt A-Hasaka und seine Freunde dort. Aber er ist auch froh, mit seiner Familie hier in Sicherheit leben zu dürfen.

Rwan ist bestimmt kein typischer Flüchtling, auch kein typischer Syrer was den Bildungsstand seine Familie betrifft. Aber jede Fluchtgeschichte ist individuell, und ich bin wieder einmal ein paar Vorurteile losgeworden.

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